Schlagwort Nr.: |
1821
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Titel: |
Abtreibung |
Kommentar: |
Nach moraltheologischem Verständnis der 1920er Jahre waren Abtreibungen ein
Verbrechen und das Leben des Kindes war auch im Falle der Lebensgefahr für die Mutter zu
schützen. Eine Abtreibung führte folglich aus kirchenrechtlicher Perspektive für denjenigen,
der sie durchgeführt hatte, sowie für die Mutter zur sofortigen Exkommunikation im Sinne
einer Tatstrafe (cann. 2350 § 1 und 985 n. 4 CIC/1917). Im Hintergrund
standen hierbei das fünfte Gebot ("Du sollst nicht töten", Ex 2,13 und Dtn 5,17)
und die Überzeugung, dass das Kind vom Moment der Zeugung an eine ganz beseelte Person sei
(Simultanbeseelung), dem durch die Tötung die Taufe verweigert würde. Zudem galt das Leben
als Geschenk Gottes, worüber die Eltern keinerlei Verfügung hätten. Staatlicherseits
wurden Abtreibungen im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 als Verbrechen mit bis zu
5 Jahren Zuchthaus bestraft (§ 218 RStGB). In den 1920er Jahren kam es zu
Veränderungen, nachdem verschiedene Gruppen (insbesondere Sozialdemokraten, Kommunisten und
Frauenrechtler) aufgrund der sozialen Not Reformen eingefordert hatten: Am 7. Mai 1926
wurde die Abtreibung nicht mehr als Verbrechen, sondern als Vergehen eingestuft und die
Strafe zur Gefängnis- bzw. einer Geldstrafe gemildert. Am 11. März 1927 entschied das
Reichsgericht zudem die Straffreiheit einer Abtreibung, wenn diese durchgeführt wurde, um
das Leben der Mutter zu retten. Hier wurde das Prinzip der Güterabwägung angewandt und das
Leben der Mutter als schützenswerter angesehen als das des ungeborenen Kindes. |
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Quelle: |
Die Bibel, Einheitsübersetzung, Stuttgart 2016.
Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung des von den Abgeordneten Müller (Franken)
und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung des Strafgesetzbuchs,
in: Verhandlungen des Reichstages, III. Wahlperiode, Bd.: 390,
Berlin 1926, 196. Sitzung, Freitag den 7. Mai 1926, S. 7052-7066,
in:
www.reichstagsprotokolle.de
(Letzter Zugriff am: 24.04.2018)
.
GASPARRI, Pietro (Hg.), Codex Iuris Canonici Pii X Pontificis Maximi iussu
digestus, Benedicti Papae XV auctoritate promulgatus, Rom 1917,
S. 281 f., 642, in:
www.archive.org
(Letzter Zugriff am: 03.07.2018)
.
I 105/26 (11.03.1927), Enthält § 218 Abs. 1--3 StGB. n. F.
gegenüber § 218 Abs. 1 und 3 StGB. a. F. eine tatbestandliche
Änderung?, in: Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen 1880 bis 1945 61 (1928),
S. 242-259, in:
www.rgst.staatsbibliothek-berlin.de
(Letzter Zugriff am: 24.04.2018)
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Literatur: |
HÜRTH, Franz, Zum Eingriffsrecht in das keimende Leben, in: Stimmen der Zeit 116
(1929), S. 33-47.
SCHILLING, Otto, Abtreibung, in: Lexikon für Theologie und Kirche 1 (1930),
Sp. 54 f.
SPIEKER, Manfred, Kirche und Abtreibung in Deutschland. Ursachen und Verlauf eines
Konflikts, Paderborn 22008, S. 15-20.
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Online seit: 29. Januar 2018 |
Empfohlene Zitierweise:
Abtreibung, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 1821, URL: <www.pacelli-edition.de/Schlagwort/1821> (Datum 20. Februar 2019) |
Letzte Änderung: 10. September 2018 |
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